Pico Ruivo [Madeira]

Wenn mal Wolken da sind, und das sind sie oft auf der Insel, dann sollte man so schnell wie möglich an Höhe gewinnen, um über den Wolken zu sein – haben sie gesagt. Immer auf den Berg hinauf – haben sie gesagt. Der perfekte Ort um den Sonnenaufgang zu sehen – haben sie gesagt.

Als wir pünktlich zum Sonnenaufgang auf den Parkplatz des Pico Arieiros ankamen, hätte ich mich am liebsten direkt wieder auf den Rückweg begeben. 7 Grad, eiskalter Wind, kein Funken Sonne und dicker, dicker Nebel. Die erste halbe Stunde schimpfte ich ordentlich. Über den Wolken, haha, das ich nicht lache. Und wieso ging es eigentlich die ganze Zeit nur steil runter, wir wollten doch auf den Gipfel!

Auf den Pico Ruivo, den höchsten Berg Madeiras, führen mehrere Wege. Der spannendste und schönste, sollte vom Pico Arieiro starten. Ca. 6,5 km hin und 6,5 km wieder zurück. Wie viele Höhenmeter wir letztendlich machten, bleibt fraglich. Ich denke gute 1000, gefühlte 10.000. Der Weg vom Pico Arieiro zweigte sich wohl früher einmal in zwei Pfade ab. Der eine schien schon eine ganze Weile gesperrt zu sein. Später sahen wir dann auch warum: Der Weg war mit einem Großteil des Berges abgerutscht.

Nach dem wir den gröbsten Abstieg geschafft hatten, sich sogar das ein oder andere mal ein kurzer Blick auf die Berge zeigte und der Wind etwas nachgelassen hatte, kam der erste Tunnel. Insgesamt gibt es auf der Wanderung drei längere und zwei kürzere Tunnel. Für mich machte es die Wanderung erst einmal nicht attraktiver. Ich bin kein Fan von Tunneln, Dunkelheit und Enge, aber immerhin konnten wir unsere Kopflampen hier einmal nutzen.

Hinter dem ersten Tunnel wurde der Weg zu einem Pfad. Er verlief immerhin gerade, aber für Menschen, die nicht schwindelfrei sind, würde ich die Wanderung nicht empfehlen. Links ging die Bergwand senkrecht nach unten. Der Weg war zwar fast durchgängig mit Drahtseilen gesichert, aber teilweise auch schon sehr ausgetreten. Eine Stelle brauchte dann letztendlich auch noch starke Nerven. Der Pfad wurde super schmal und war nur noch mit Absperrband und Bindfaden gesichert. Komischerweise fand ich die Tunnel wesentlich gruseliger.

Mittlerweile hatte ich meinen Wanderrhythmus gefunden. Es zeigte sich mehr und mehr von der Landschaft und es wurde wärmer. Ich fand sogar Spaß daran auf dem Pfad durchs Gebirge zu laufen. Bei dem Wetter waren wenigstens kaum Menschen unterwegs. Die Wolken zogen mystisch durch die Berge und hübschten das Bild zunehmend auf. Und dann kamen die Treppenstufen und brachten mich wieder aus dem Gleichgewicht. Die Abstände zwischen den Stufen waren gigantisch. Hier war definitiv ein Riese am Werk gewesen.

Mein Körper schrie innerlich auf, wann immer ich an den Rückweg dachte. Aber wir hatten es tatsächlich bis zur Hütte unterhalb des Gipfels geschafft. Nun waren es noch ca. 600 Meter. Nach 300 Metern weigerte ich mich weiter zu gehen. Wir standen in einer dicken Suppe, eine Aussicht zu haben, war unmöglich. Eigentlich hätte ich gerne meine Kräfte geschont, aber ich ließ mich dann doch noch zu den letzten 300 Metern überreden. Und was soll ich sagen: Der Weg hinauf auf den Gipfel (bis auf die letzten Meter) hatte mir zwischendurch wirklich Spaß gemacht. Jetzt standen wir vor einer weißen Wand und konnten uns in unserer schönsten Phantasie ausmalen, wie die Insel uns zu Füßen lag.

Zurück an der Hütte gab es erst einmal einen warmen Tee zum Aufwärmen und einen Schokoriegel für die Nerven. Während wir da unsere Snackpause einlegten, hüpften und bettelten die kleinen Buchfinken um uns herum.

Der Rückweg begann und somit der Spaß von vorne. Eine halbe Stunde nachdem wir vom Gipfel wieder herunter waren, riss übrigens die Wolkendecke auf und zeigte blauen Himmel und immer klarere Sicht. Frühes Aufstehen lohnt sich eigentlich immer, nur heute hatten wir uns wohl ein bisschen sehr früh aufgemacht.

Als wir auf dem Hinweg durch die Nebeldecke stapften wurde meine Stimmung durch das Rothuhn aufgeheitert. Auf dem Rückweg sahen wir es wieder. Dieses Mal mit der ganzen Familie. Wie süß kann man sein? Die Rothühner ließen sich überhaupt nicht stören. Sie waren gar nicht ängstlich und wohl schon daran gewöhnt, dass ständig Menschen durch ihr Buffet liefen.

Während M noch die Hühnchen fotografierte, machte ich mich schon einmal weiter an den Aufstieg. Ehrlich gesagt weiß ich nicht, wie ich die 13 km mit dem ständigen auf und ab geschafft habe. Und obwohl ich viel geschimpft habe, war die Wanderung an sich doch einer der nettesten und spannendsten. Mein Kopf war komplett leer, meine Beine kraftlos, aber ich hatte es geschafft.

Wie mächtig solche Berge immer wieder sind. Selbst nach so vielen Wanderungen in den Alpen, nach unzähligen Ausblicken von Gipfeln, kann ich mich nicht satt sehen. Gefährlich schön sind sie und trotzdem vermitteln sie neben dem gebührenden Respekt auch immer eine absolute Ruhe und Entschleunigung.

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