Wiesenkind mit rastlosem Herzen

Es war ein Wochenende voller wunderbarer Momente. So viele schöne Dinge sind geschehen, so viele schöne Orte wurden entdeckt. Ich habe mein Herz schon oft verloren. An lauten, turbulenten Orten wie Paris oder London. Ich habe es zurückgelassen in den Händen besonderer Menschen – Sie haben es immer irgendwie mitgenommen. Und dieses Mal ist es wieder passiert: Irgendwo zwischen Trollblumen und wilden Lupinen.

Wir waren mitten in der Wildnis. Raus aus der Komfortzone und schon standen wir auf der Wiese. Das Gras ging mir bis zur Hüfte. Ich weiß nicht, ob ich die Einzige bin, die bei solch‘ einem Anblick immer das Gefühl hat: Losrennen zu müssen. Einfach zu rennen und zu sehen, wie die Blumen und das Grün unter einem entlangrauschen. Wie alles zu tausend Farben verschwimmt. Ich kann meine Beine dann immer kaum still halten, ich will die frische Luft in meinen Lungen spüren.

Wer das Buch Into The Wild gelesen hat, der kann es mir vielleicht ein bisschen nachempfinden. Ich muss jedes Mal an dieses Buch denken, wenn ich eigene Pfade einschlage. Sobald mir etwas im Kopf kreist und ich nicht mehr klar denken kann, geht es mir ähnlich wie Alex McCandless. Er hat es richtig gemacht. In irgendeiner Art und Weise. Er hat sich selbst vertraut, der Natur vertraut. Ich würde ihm trotzdem nie folgen. Ich bin einfach zu feige dafür. Dennoch liebe ich dieses Buch. Ich liebe es heiß und innig, ein bisschen wie einen Schatz. Ich liebe seine abenteuerreiche, so tieftraurige Geschichte. Ich liebe es, weil ich mich selbst in ihm wiederfinde. Er scheint das gleiche rastlose Herz gehabt zu haben, welches auch in meiner Brust schlägt.

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„Er war allein. Er war unbeobachtet, glücklich und dem wilden Herzen des Lebens nah. Er war allein und jung und mutwillig und wild beherzt, allein inmitten einer Wüste wilder Luft und brackiger Wasser und der Meerlese aus Muscheln und Tang und verschleierten grauen Sonnenlichts…“
– James Joyce

Am ersten Abend klärte sich das Wetter auf, sodass die Sonne wie ein oranges Geschenk über den weiten, wilden Wiesen hing. Ich wäre die ganze Nacht draußen geblieben, wenn ich gedurft hätte. Ich fühlte mich alleine. Unbeobachtet und glücklich. Vor allem sehr, sehr glücklich. Und dieses Glücksgefühl hielt an. Es hielt an, als wir durch den Wald streiften und eine hohle Eiche fanden, in der wir uns verstecken konnten. In der ich trotz schützender Rinde, bis hinauf in den Himmel schauen konnte. Es hielt an, als wir einen Buntspecht beobachteten, der einen geeigneten Baum für sein Nest suchte. Es hielt auch an, als wir die Wiese fanden, auf der jedes Wort als Echo zu einem zurückkam. Jeden Frust hätte man sich hier aus der Seele schreien können.

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Es hielt an als wir am Abend, nach starkem Regen, einen Spaziergang machten und ich mit dem Einsammeln der Schnecken nicht mehr hinterher kam. Es hielt an, als das winzigste Pony, was ich jemals gesehen habe, seinen Kopf durch den Zaun steckte. Vielleicht war alles verzaubert, sowohl dieser Ort, als auch dieses winzige Pferdchen. Das Gefühl des Glücks hielt auch dann an, als ich zur Wiese zurückkehrte und den Nebel aufsteigen sah. Alles war klamm, feucht, die Schuhe schon fast durchweicht, aber dennoch musste ich hierher zurück. Fast, als hätte ich einen Kompass in mir, der von der Wiese angezogen wurde. Beinahe so, als würde mein rastloses Herz hier etwas Ruhe finden. Denn Ruhe gab es hier.

8 replies to “Wiesenkind mit rastlosem Herzen

  1. Deine Zeilen sind ergreifend – sie nehmen mich mit – buchstäblich, und sie verursachen eine große Sehnsucht.

    Ich wäre, nein, ich BIN auch zu feige zum „Aussteigen“ – ich wäre es auch, wenn ich keine Familie hätte. Ich wäre so unfähig, in Wildnis und Abgeschiedenheit zu überleben. Obwohl ich sehr bewusst manchem „zivilisatorischen Fortschritt“ entsage, bin ich ganz und gar „Opfer“ und „Produkt“ dessen was sich Zivilisation nennt.

    Empfindungen, wie Du sie hier beschrieben hast, kenne ich freilich in sehr ähnlicher Weise auch. – Aber Du schaffst es irgendwie, und viel mehr und öfter als beispielsweise ich, sie Dir in relativ kurzen Abständen, so oder ähnlich wieder zu „verschaffen“. Das ist gut. So bleibst Du gesund, so bleibst Du am LEBEN.

    Liebe Grüße, Ines!

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    1. Da hast du sehr Recht. Man ist doch immer an irgendwas gebunden, braucht die sozialen Kontakte und die Zivilisation, auch wenn so viele Teile davon so unmenschlich sind.

      Ich hoffe das wird mir auch weiterhin so gut gelingen. Ein bisschen Angst habe ich davor, dass mir dazu die Zeit irgendwann schlichtweg fehlen wird. Aber erst einmal werde ich möglichst viel dafür tun, um weiter für kurze Zeit aussteigen zu können.

      Danke für deinen Kommentar!
      Die besten Grüße
      Ines

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  2. Schöne Bilder und Idylle pur ! 🙂

    Ich kenne den Film „Into the wild“ und er hat mich sehr beschäftigt, weil ich sein Fernweh nachvollziehen konnte, aber seine Naivität dabei nicht …

    Viel Freude weiterhin beim Entdecken & Genießen !
    Liebe Grüße
    Bärlinerin

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    1. Danke (:

      Mich beschäftigt er auch immer wieder. Sowohl das Buch, als auch der Film. Naiv war er tatsächlich und doch ist er damit ziemlich weit gekommen. Eine bemerkenswerte Geschichte ist es allemale.

      Beste Grüße
      Ines

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