Falls ihr Teil I noch nicht gelesen habt, bitte ich euch zumindest den einleitenden Absatz von Teil I vorab zu lesen.
9. SSW
Ich war knappe 500 km Radfahren in den letzten Tagen. Mein Körper macht einiges mit und ich bin nicht fair zu ihm. Er bereitet sich gerade darauf vor ein Kind zu bekommen und meine Gedanken dazu sind: Hat es das Kind nicht verdient zu leben, wenn es fünf Tage Sport durchhält? Allerdings wenn ich ein Kind hätte, könnte ich diese Radtour nicht machen. Ich könnte gar nichts mehr machen, außer dieses Kind immer versorgen zu müssen. Mein Körper ist nicht mehr leistungsfähig, ich fühle mich krank und unfit. Ich bin eine scheiß Egoistin.
Nun habe ich ein paar Tage mit der Entscheidung gelebt, dass ich es bekommen werde. Und es hat sich furchtbar angefühlt. Von Tag zu Tag wurde es schlimmer. Das Kind wird ohne Vater aufwachsen. Ich werde keine gute, liebende Mutter sein können. Es sind keine Muttergefühle da. Ich kann keine Verbindung zu dem Zellhaufen in mir herstellen. Immer wenn ich Babys oder Kinder sehe, wird mir schlecht oder ich bekomme Bauchschmerzen. Wenn ich mir versuche vorzustellen, wie ein Leben mit Kind für mich aussehe, ist da nichts. Eine weiße Wand. Und ich habe sonst eine sehr lebhafte, bildliche Vorstellungskraft. Mein Verstand macht dicht.
Ich fühle mich so schlecht mit der Entscheidung dafür und konnte es mir über Wochen nicht eingestehen. Ich wollte, dass die Entscheidung dafür die richtige ist. Weil es die rational und moralisch richtigere gewesen wäre. Das hat mir zumindest mein Kopf eingeredet. Was hätte das Kind davon, wenn ich mit Überforderung kämpfe und kein Vater da ist? Hier kann ich nicht rational rangehen. Hier muss ich mein Bauchgefühl den Vortritt lassen. Das ist für mich die größte Lernerfahrung gewesen. Ich wäre an der Entscheidung für das Kind kaputt gegangen. Und darunter hätte vor allem das Kind gelitten. So viel dann zur Moral.
Deswegen habe ich heute entschieden: Ich kann das nicht. Ich kann dieses Kind nicht bekommen. Das Wochenende wird genutzt um mit der Entscheidung dagegen nachzufühlen. Als ich das für mich klar bekommen habe, fühlte ich eine riesige Entlastung. Ich habe aufgehört zu weinen. Ich sitze auf der Terrasse und trinke einen schwarzen Tee und ich bin glücklich. Da hat sich etwas gelöst in mir. Ich kann mir mein Leben wieder vorstellen. Sehe meine Wünsche, meine Ziele, meine Pläne für die Zukunft und darin kommt kein Kind vor. Mein Kopf ist wieder frei von den ständigen Gedankenspiralen.
In meinem Kopf hätte es nur ein einziges Szenario gegeben, in dem ich das Kind hätte bekommen können, ohne das es selbst oder ich zu großen Schaden daran genommen hätte: Wenn der Vater von Anfang an Unterstützung angeboten hätte. Wenn er Verantwortung übernommen hätte, vor allem nicht nur die finanzielle. Dieses Commitment, dieses sich dazu bekennen, gab es nie.
10. SSW
Es ist Montagmorgen. Ich sitze in einer Praxis, die auf Schwangerschaftsabbrüche spezialisiert ist. Für mich war klar, das kein medikamentöser Abbruch und auch keine Ausschabung in Frage kommen. Für die Absaugung habe ich letztendlich einen weiteren Anfahrtsweg in Kauf genommen, mich aber mit der Option am wohlsten gefühlt. Der Weg hierher war anstrengend. Zunächst die Entscheidungsfindung an sich, dann die Konfliktberatung, dann überhaupt eine Praxis oder Klinik zu finden die Absaugungen vornimmt. Immer noch sind Schwangerschaftsabbrüche in Deutschland illegal (aber nach Beratung straffrei). Ärzte und Ärztinnen dürfen auf ihren Websites keine Angebote listen, weil es für Schwangerschaftsabbrüche ein Werbungsverbot gibt (oder gab, da bin ich mir nicht sicher).
Das Team der Praxis ist super nett und bemüht, das der Eingriff für mich so angenehm wie möglich verläuft. Ich bekomme kurze Gespräche mit der Ärztin und dem Narkosearzt, muss mich umziehen und werde dann in eine 10-minütige Vollnarkose versetzt. Nach 10 Minuten wache ich im Ruheraum auf und frage mich, wie ich in dieses Bett gekommen bin. Ich habe keine Schmerzen und verspüre nichts außer einer großen Erleichterung. (Und weiterhin ein bisschen Irritation darüber, dass ich offensichtlich aus dem Behandlungszimmer in den Aufwachraum gelaufen bin.) Nach knappen zwei Stunden darf mich meine Begleitung wieder einsammeln und wir können nach Hause fahren.
Auch nach Stunden, nachdem die Schmerzmittel ihre Wirkung verloren haben, merke ich kaum etwas. Ein leichtes Zwicken ab und an, aber sonst zum Glück nichts. Natürlich hatte ich vorher Angst vor dem Eingriff, zumal ich noch nie eine Vollnarkose hatte. Außerdem hat mein verkopftes Ich im Hintergrund immer wieder die Frage gestellt, ob es denn wirklich die richtige Entscheidung sein wird. Ich kann voller Überzeugung sagen: Ja. In diesem Moment schon. Ich weiß, es klingt sehr egoistisch, aber ich hätte mein Leben für dieses Kind aufgeben müssen. Zu viel opfern müssen. Dazu habe ich mich nicht bereit gefühlt. Ich kenne mich gut genug, ich weiß, ich bin eine starke Frau und ich kann vieles durchmachen, aber durch ein Leben mit Kind und damit verbundenem Umzug zurück in die Heimat (also an einen Ort, an dem ich eigentlich nicht sein möchte) plus den ganzen Abstrichen, die ich hätte machen müssen, wäre ich psychisch eingebrochen. Und nicht nur das. Ich hätte mich mein ganzes Leben mit M³ rumstreiten müssen, wenn er denn überhaupt für mich oder das Kind greifbar gewesen wäre.
Fortsetzung folgt.
April/Mai 2025
Weiterführende Links
Liste mit Praxen und Kliniken, Bundesärztekammer: https://www.bundesaerztekammer.de/themen/aerzte/schwangerschaftsabbruch
Liste mit Praxen und Kliniken nach PLZ geordnet: https://www.familienplanung.de/schwangerschaftskonflikt/schwangerschaftsabbruch/schwangerschaftsabbruch-praxen-kliniken-einrichtungen/
Statistik zu Schwangerschaftsabbrüchen: https://de.statista.com/statistik/daten/studie/37228/umfrage/schwangerschaftsabbrueche-in-deutschland/
Folgen von Schwangerschaftsabbrüchen: https://www.gesundheitsinformation.de/nach-einem-schwangerschaftsabbruch.html#:~:text=In%20den%20ersten%20Tagen%20nach%20dem%20Schwangerschaftsabbruch%20können%20Beschwerden%20wie,die%20Arztpraxis%20oder%20eine%20Beratungsstelle.
ZDF-Serie „Bauchgefühl“: https://www.zdf.de/serien/bauchgefuehl-108
ZDF-Serie „Regretting Motherhood“: https://www.zdf.de/nachrichten/panorama/regretting-motherhood-mutter-frau-kind-100.html
Liebe Ines, du bist sehr stark und warst sehr stark, für dich eine persönliche Entscheidung zu treffen. Und du bist keine Egoistin, nur weil du dir ein Leben mit Kindern nicht Borsten kannst und dein Leben nach deinen Wünschen gestalten möchtest. Dass ist absolut in Ordnung und legitim. Uns Frauen wird immer eingetrichtert, dass wir alle Mütter werden möchten/ sollen, denn ansonsten ist unser Leben nichts wert, wir werden nie Liebe erfahren und dass wir unsere wahre Bestimmung versäumen. Das ist absoluter Quatsch. Nicht jede möchte Mutter werden (ich auch nicht) und das ist absolut in Ordnung so. Auch wir Frauen haben das Recht, ein selbstbestimmtes Leben zu führen. Aber leider ist dies in der Gesellschaft noch nicht so verankert.
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Ganz, ganz herzlichen Dank für deine lieben Worte. Du hast absolut recht. Es wird uns Frauen leider immer noch zugeschrieben, dass wir Kinder kriegen „müssen“. Viele denken ja leider tatsächlich, dass das auch von allen Frauen der Wunsch ist. Ich habe das in meinem Leben eigentlich schon sehr früh ausgeschlossen. Aber wenn man dann doch in dieser Situation steckt, denkt man natürlich noch einmal ganz anders darüber nach. Aber auch jetzt danach merke ich, dass Kinder einfach weiterhin nicht in mein Lebenskonzept passen.
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