Bregenz [Österreich]

Seit letztem September waren wir nicht mehr um Urlaub. Ein gutes halbes Jahr also. Ohne unseren VW Bus sind die Reisen nun zeitlich und finanziell intensiver und außerdem brauchen sie viel mehr Vorlauf an Planung. Am Samstag sind wir am Vormittag losgefahren. Das Auto rechtzeitig vorher repariert, Sachen gepackt und einmal um den See herum. Unser Ziel war Bregenz.

Vor Jahren war ich hier mal auf dem Pfänder, doch heute zogen sich dunkle Regenwolken über Wasser und Berge und zeigten die Stadt in einem lustlosen Grau. Kein Wetter zum Spazierengehen. Seit der Pandemie hatten alle möglichen kulturellen Ereignisse hinten anstehen müssen. Letztes Jahr im Sommer hatten wir noch das Museum in Sønderborg besucht, aber in einer Kunstausstellung war ich seit Jahren nicht. Leider, wie ich bemerkte, denn das hatte mir gefehlt.

Im Kunsthaus Bregenz waren die Werke von Günter Brus ausgestellt. Brus ist eine Woche bevor die Ausstellung eröffnete, im Alter von 85 Jahren, verstorben. Für mich war der Gang an den Bildern vorbei eine Achterbahnfahrt. Keinerlei Infos hatte ich mir zuvor eingeholt. Die Werke waren auf vier Etagen aufgeteilt. Die erlebnisreiche Reise begann sehr sanft im Erdgeschoss.

Die zweite Etage wurde bereits etwas wilder, aber dennoch abstrakt. So richtig wild wurde es dann im dritten Stock. Günter Brus war außergewöhnlich für seine Zeit. Er nutzte seinen Körper als Kunstobjekt, auf rabiate Weise. Provokant und rebellisch für seine Zeit. Selbstverstümmelung, Selbstverstrickung und der gespaltene Mensch als Beispiele seiner Inszenierungen. Für letzteres wurde er in Österreich verurteilt und floh nach Berlin. Als Staatsfeind betitelt, lebte er einige Zeit im Ausland, bevor er wieder zurückkehrte.

Die vierte Etage zeigte sanfte Aquarelle, träumerische und gruselige Gestalten. Gemalt mit viel Witz und Klugheit. Ich war drin in meinem Element. Vielleicht finde ich deswegen die Kunst auch so berauschend. Den Ausdruck der Menschen, die die Werke geschaffen haben und dennoch die freie Interpretation durch die Betrachter:innen. Da will jemand etwas zeigen, sich ausdrücken, den Finger auf etwas legen und die Kunstanschauerin – in diesem Falle ich – bringt ihre eigenen Dinge mit. Bringt sie mit und rein ins Werk. Natürlich schaue ich solche Werke auch aus dem psychologischen Aspekt an, ich kann gar nicht anders.

Was will Brus damit vermitteln, wenn er sich selbst verletzt? Wenn er sich weiß anmalt und seine Tochter auf den Fotografien das Zentrum des Bildes einnimmt? Verschwindet er in ihrem Schatten oder fand er einfach nur, dass es mit dem hellen Weiß besonders gut aussah? Mensch wird beim Betrachten immer sehr viel Spielraum haben. Eigene Freiheiten. Und Mensch wird sich durch die Kunst auch selbst immer etwas besser kennenlernen.

Schweigend und nachdenklich, vor allem aber auch recherchierend über diese Persönlichkeit, saßen wir danach noch bei einem Heißgetränk im Cafe. Der Regen hatte sich verzogen. Der Kopf brauchte etwas frischen Wind und den gab es an der Mole. Durch die Innenstadt ging es zurück zum Auto und weiter zu unserem eigentlich Reiseziel.

3 replies to “Bregenz [Österreich]

  1. Wie ist die Stadt als solches denn? Wir haben die auf einer Pressereise nur mal kurz touchiert und irgendwann mal einen Besuch der Seefestspiele im Sinn gehabt, aber nicht realisiert.

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