Falls ihr Teil I und II noch nicht gelesen habt, bitte ich euch zumindest den einleitenden Absatz von Teil I vorab zu lesen.
Die Wochen danach: Auf- und Verarbeitung
Einen Tag nach dem Abbruch ist mir bereits so langweilig zu Hause, dass ich überlege am Donnerstag wieder arbeiten zu gehen. Ich bin froh, dass ich nicht voreilig entschieden habe, denn die Hormonumstellung passiert erst nach ein paar Tagen. Am dritten Tag gehe ich meinen normalen Beschäftigungen nach und merke direkt, dass ich mich überanstrengt habe. Dabei habe ich nicht mal Sport gemacht. Nachts habe ich Fieber. Ich wache auf und frage mich: Wäre es ein Junge oder ein Mädchen geworden?
Am nächsten Morgen ist das Fieber weg. Genau so schnell wie es kam. Mein Körper total gerädert und ausgelaugt, meine Psyche im Breakdown. Ich beginne mein komplettes Leben zu hinterfragen. Ich werde scheißwütend auf M³ und dann auf mich selbst.
Wieder ist eine Nacht vergangen. Die Blutungen haben wieder eingesetzt. Ich teste trotzdem an eine kleine Runde Rad zu fahren. Brauche einen freien Kopf. Abends schaue ich Reel Rock 19 „THE COBRA AND THE HEART“. Wusste vorher, dass das keine gute Idee sein wird. Nicht nur, weil es eine happy ending Lovestory ist, sondern vor allem weil ein Kind involviert ist. Dann kommen die Vergleiche, die dummen, nutzlosen „was-wäre-wenn-Fragen“. Hätte ich es nicht auch geschafft mit dem Kind? Hätte es nicht ohne Vater aufwachsen können? Was wäre, wenn er sich umentschieden hätte?
Ich will nicht lügen, die Hormone haben mich extrem aus der Bahn geworfen. Meine Entscheidung hinterfrage ich in diesen Momenten ernsthaft. Es fühlt sich nicht nach der richtigen Entscheidung an und trotzdem weiß ich, dass sie es ist. Zumindest in meiner Situation mit dem Wissen und der (fehlenden) Unterstützung. Leider hat man keine Ewigkeiten, um sich dafür oder dagegen zu entscheiden.
Versuche auf Biegen und Brechen zu meinem alten Leben zurückzukehren. Denn das habe ich mir doch gewünscht. Unabhängig sein. Als ich alleine zur Wanderung fahre, alleine durch die Schweiz laufe, fühlt es sich einfach nur alles leer in mir an. Das ist also der Zustand, den ich wieder haben wollte. Leere und Einsamkeit. Für was genau? Für schöne Ausblicke, für die kurze Genugtuung einen Berg bestiegen oder einen Boulder geschafft zu haben? Damit ich für mich ein Foto machen kann, das ich mir dann irgendwann alleine anschaue?
An Tag 9 nach dem Abbruch komme ich aus der Arbeit, stehe in der Küche und alles bricht zusammen. Das ist der Moment, wo ich es zum ersten Mal wirklich verstehe. Ich war schwanger. Da gab es einen Zellhaufen in mir, der hatte einen Herzschlag, der hätte mein Kind werden können. Wie habe ich vor zwei Wochen die Entscheidung gegen dieses Kind treffen können, wenn ich jetzt erst realisiere, was passiert ist? Und wie soll es dann auch noch die richtige gewesen sein? Ich hinterfrage nicht nur die Entscheidung, ich hinterfrage mein komplettes Leben. Perspektive und Sinn. Als ich sehe, dass M³ den vollen Betrag Geld überwiesen hat, kommt der nächste kleine Zusammenbruch: Das war’s jetzt. Ich bin zwar emotional für immer mit diesem Mann verbunden (und werde sagen „das ist der Mann, von dem ich schwanger war“), aber er hat damit den absoluten Schlussstrich gesetzt. Es gibt keine Möglichkeit das nachzubesprechen oder gemeinsam aufzuarbeiten.
Ich stehe nach 4 Wochen in der Halle vis a vis vor M³ und möchte ihm ins Gesicht schlagen und ihn gleichzeitig in den Arm nehmen. Meine Hormone sind außer Rand und Band. Da laufen Kinder in der Halle rum. Ich lächle und möchte eigentlich weinen.
Und dann geht es plötzlich Tag für Tag bergauf. Der Hormonhaushalt ist wieder geordnet. Ich bin wieder geordnet. Fast drei Wochen nach dem Abbruch bin ich wieder ich selbst. Die Hormonumstellung kegelt mich nicht mehr raus. Ich weiß und fühle es jetzt wieder: Ich hätte es mit Kind geschafft, aber nur zu einem hohen Preis. Es war nie mein Wunsch Kinder zu kriegen. Diesen Wunsch gibt es auch weiterhin nicht. Es war die richtige Entscheidung. Und ich darf trotzdem traurig sein. Ich darf weinen, wenn ich Babys sehe. Ich darf mich selbst noch mögen. Ich darf auch mit dieser Entscheidung glücklich werden. Und wer weiß, ganz vielleicht schaffe ich es irgendwann sogar Frieden mit M³ zu schließen.
Abschluss
Zuerst möchte ich allen meinen Lieblingsmenschen danken, die ich meine Freund*innen nennen darf. Ich habe durchweg nur positive und unterstützende Rückmeldungen bekommen. Ich weiß nicht, wie es ausgesehen hätte, wenn ich euren Support über die ganzen Wochen und auch jetzt im Nachhinein nicht erhalten hätte. Ob es nun der gute Zuspruch war, das immer wieder reflektieren und hinterfragen oder das Angebot mich in die Praxis zu begleiten. Danke! Schwangerschaften und deren Abbrüche sind super sensible und super emotionale Themen. Noch immer finden sich im Internet angebliche „Erfahrungsberichte“ von Frauen, die einen Abbruch durchführen lassen haben und dadurch psychische oder körperliche Langzeitfolgen erlitten haben. Ich will nicht bestreiten, dass es einen geringen Prozentsatz solcher Fälle gibt. Dennoch möchte ich bitten hier immer genau zu prüfen, auf welchen Seiten solche Berichte und „Erfahrungen“ gepostet werden – häufig sind es letztendlich dann doch die Abtreibungsgegner*innen, die unwahre Horrorgeschichten verbreiten.
Allen Frauen, die sich in solch einer schwierigen Situation befinden möchte ich Mut zusprechen. Vorab: Es ist eine verdammt harte Entscheidung, bei der man definitiv immer wieder ins Zweifeln kommt. Egal, wie du dich entscheidest, es wird die richtige Entscheidung sein. Und nur du kannst sie treffen. Die kann dir keiner abnehmen. Mir hat es sehr geholfen eine gewisse Zeit mit der einen und dann mit der anderen Entscheidung zu leben und nachzufühlen, wie es mir mit der jeweiligen geht.
Hier steht ganz eindeutig nicht die Moral im Vordergrund, sondern deine eigenen Bedürfnisse. Nur du kannst wissen, wie du dein Leben leben möchtest und was dir gut tut. Das Kind auf Biegen und Brechen zu bekommen, kann nicht die richtige Entscheidung sein. Meine Freundin S. hat mir mit der Aussage sehr geholfen: Wenn du dich für das Kind entscheidest und es dann bereust, leiden zwei Menschen darunter. Wenn du es nicht bekommst und es dann bereust, leidest nur du darunter.
Es ist ein verdammt harter Weg, den Frauen durchmachen müssen, wenn sie sich gegen die Schwangerschaft entscheiden. Noch immer sind die Abbrüche illegal. Noch immer gibt es wertende Personen in der Gemeinschaft, im Freundeskreis oder sogar unter Fachpersonal. Von einer Bekannten habe ich gehört, dass selbst die Konfliktberatungen nicht neutral und sachlich ablaufen, sondern versucht wird in eine Richtung zu lenken. Es gibt weiterhin wenig Aufklärungen über die verschiedenen Methoden der Schwangerschaftsabbrüche und herauszufinden, wer diese dann anbietet, ist ein weiteres Hindernis auf dem Weg zum Abbruch. Hinzu kommt, dass der Abbruch meistens selbst gezahlt werden muss (Kosten zwischen 350-700€). Eine Kostenerstattung kann man bei den Krankenkassen beantragen, dafür muss jedoch das Nettogehalt unter eine bestimmte Grenze fallen. So viele unnötige Hürden auf einem eh schon sehr schwierigen Weg. Aber am aller schwersten machen die Entscheidung die Emotionen und die Hormone.
Allen Menschen in solch einer Situation wünsche ich viel Kraft und Durchhaltevermögen. Seid lieb zu euch selbst. Gebt euch Zeit. Nur ihr kennt die Antwort.
Mai/Juni 2025
Das ist wirklich keine leichte Entscheidung, die du da getroffen hast / treffen musstest. Ich hab ja auch lange und hart mit mir gehadert, ob ich nun ein Kind möchte oder nicht, dadurch wieder oft an mir gezweifelt und alles in Frage gestellt – und das ist in meinem Fall ja alles nur ein Gedankenkonstrukt, kein tatsächliches Ereignis gewesen. Schwierig fand ich dabei herauszufiltern, was mein eigener Wunsch ist, ganz unbeeinflusst von außen. Wie du auch schreibst, es ist eine Entscheidung, die man ganz für sich treffen muss. Danke, dass du deine Geschichte teilst.
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Ich finde, es bleibt einfach ein sehr sensibles Thema, bei dem man auch immer wieder reflektieren darf 🙂 Hoffentlich bist du zu einem gute Ergebnis für dich gekommen. Das man erst einmal seinen eigenen Wunsch klar kriegen muss, das fand ich auch mit am schwierigsten. Obwohl ich mir häufig gedacht habe, dass ich manchmal auch ein bisschen mehr Input/Wegweisendes gebraucht hätte.
Liebe Grüße an dich!
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