Logbuch

10.10.2024

Das ich noch einmal einen Logbuch-Eintrag schreiben werde, hätte ich nicht gedacht. Aber mein Schiff wurde in den letzten Wochen mit so viel Ballast beladen, dass es heute auf Grund gelaufen ist. Mit all den super schweren Kisten voller Trauer, Stress, Wut und Pech hat’s aufgeschlagen und mich von Bord geworfen. Richtig rausgehauen wurde ich, einmal über die Reling. Sehr verwundert darüber, dass das passiert ist, denn eigentlich war ich doch auf einem guten Weg – oder nicht?

In den letzten Wochen lief irgendwie alles schief, was schief laufen konnte. Seit der Trennung schwimme ich, versuche über Wasser zu bleiben. Kämpfe mit dem Erwachsenenleben und Erwachsenensachen, auf die ich keine Lust habe. Alles kostet noch immer unendlich viel Kraft und ich merke, wie ich anfange Dinge aufzuschieben. Das wäre mir früher nie passiert. Wenn etwas Wichtiges anstand, musste das erledigt werden. Ich habe keine Energie, bin antriebslos und schon froh, wenn ich es schaffe, die notwendigen Sachen zu erledigen.

Heute habe ich viel reflektiert, viel nachgedacht. Ich habe mir eine Liste erstellt – typisch psychotherapeutisch – was mir gut tut und was nicht. Damit ich in den nächsten Tagen noch versuchen kann ein bisschen Kraft zu tanken. Ich merke aber auch, das selbst Dinge, die mir gut taten, die mir Spaß gemacht haben, gerade viel Energie kosten. Selbst draußen in der Natur zu sein taugt mir nicht mehr so, wie es das vor ein paar Tagen noch tat. Außerdem kommt jetzt der Herbst.

Mein Ziel ist es jetzt wieder zu mir zu finden. Ich habe seit der Trennung eine seltsame Rolle eingenommen, die ich perfektioniert habe zu spielen. Aber das bin nicht ich. Ich möchte gerne aufhören zu hassen. Ich möchte gerne wieder echt lachen können. Echt genießen können. Dinge ohne Anstrengung tun. Ich möchte heilen, meine Wunden versorgen können. Mal wieder ich sein. Gleichgültiger. Ohne diese Einsamkeit, die sich mehr und mehr, langsam aber stetig, in jede Zelle des Körpers frisst und mich von innen aushöhlt. Mich schwer und träge macht und nichts von mir übrig lässt.

13.10.2024

Drei Tage nach dem letzten Eintrag: Das Schiff ist wieder auf Kurs. Ich habe alles abgeladen. Runter von Board geworfen. Den Stress in hohen Bogen mit der Zwille weggeschossen. Die Sorgen mal eben im Hafen stehen lassen, bei jemand anderem abgeladen. Die meist gehasste Person mal schnell im Meer ertränkt. Ich habe mich befreit von all dem Scheiß. Das war eine harte Urlaubswoche mit schrecklich fiesen Tiefgangtagen. Es hat mir nur noch mal mehr gezeigt, dass ich hier im Süden angekommen bin. Dass es hier Leute gibt, die mich auffangen. Die mir die Last von Deck schleppen oder zumindest mit anfassen, wenn ich mich daran abkämpfe.

15.10.2024

Zwei Tage später: Wieder am Kämpfen. Abends mit dem Sturm. (Schon mal gegen Wind gekämpft?) Wenn keiner da ist, der die schwere Ladung von Schiff tragen kann. Keiner da, der mit anfasst. Wenn das Bett mal wieder viel zu groß und viel zu kalt ist. Wie jeden Abend. Es wird nicht mehr warm in den Laken. Seit Monaten nicht mehr. Ständiges Frösteln, ständiges Frieren.
Wenn irgendeine Sendung im Fernsehen läuft, auf dessen Inhalt ich mich eh nicht konzentrieren kann. Die Wohnung viel zu still ist und selbst die Musik in vollster Lautstärke es nicht schafft die Gedanken zu übertönen. Wenn mir nicht klar ist, was gegen diese Leere helfen soll, wo ich sie doch schon versucht habe mit allem möglichen Kram zu stopfen (Aktivitäten, anderen Menschen, Tapetenwechsel, Verdrängung, Reflektieren,…). Aber jegliches Füllmaterial fällt einfach durch die Leere hindurch, wird verschlungen. Sie ist nicht zu stopfen. Nicht zu reparieren. Vielleicht bin ich das auch nicht. Auseinander gebaut und nicht wieder zusammengesetzt wurden.

16.10.2024

Dicker, wabernder, weißer Nebel. Eine Suppe um mich herum, in der es unmöglich ist Anhaltspunkte zu finden. Ich habe die Orientierung verloren. Auf meinem Schiff, auf meiner Fahrt, in meinem Leben. Und die Funkrufe, die Raketen sieht und hört niemand. Aber jeder Nebel lichtet sich irgendwann – oder? … Oder?